CAAL 2011 Frutillar
Neuntes Treffen der deutschsprachigen Gemeinschaften
Lateinamerikas
Noveno encuentro de las comunidades de habla alemana
de América Latina
José Carlos Heinemann:
Reise nach Pommern
Der aus São Paulo stammende Referent lebt seit 1988 in Novo Hamburgo im
Bundesstaat Rio Grande do Sul. José Carlos Heinemann, Historiker und Theologe,
gilt als Pommern-Experte, der seit mehr als 30 Jahren die Entwicklung der
pommeranischen Gemeinschaften in Brasilien verfolgt. Berühmt ist er mit seinem
Dokumentarfilm «Die Saga eines Volkes – Von Pommern nach Ibirubá» geworden.
Der nachfolgende Text ist von den Organisatoren des Treffens als
Zusammenfassung mit erweiternden Angaben zum Thema des Originalvortrags in
portugiesischer Sprache erarbeitet.
José Heinemann hat sich außerdem intensiv mit der
Geschichte der Provinz Pommern, der Heimat der Pommerländer, befasst.
Gemeinsam mit der Volkstanzgruppe «Regenwalde», einer Tanzgruppe der
Bekleidungsfabrik Malwee Malhas aus Jaraguá do Sul in Santa Catarina, wurde ihm
und Betriebsangehörigen von der Firma eine Reise in die alte Heimat der Pommern
geschenkt. Malwee Malhas wollte auf diese Weise die 150 Jahre Einwanderung der
Pommern in Santa Catarina feiern. Man wollte kein großes Fest veranstalten,
sondern stattdessen Mitgliedern der Firma und der Volkstanzgruppe, von denen
viele Nachkommen der Pomeraner sind, den Besuch der Heimat ihrer Vorfahren
ermöglichen. So war die Reise von einem noblen Gefühl getragen: dem Kennenlernen
von ein wenig Geschichte einer Provinz, aus der so viele nach Brasilien kamen,
dem Kennenlernen von Menschen und dem Kontakt zu den Kulturen anderer, sowohl
deutscher als auch polnischer Regionen. Mitte Mai 2011 reiste die Gruppe nach
Deutschland und in die ehemals preußische Provinz Pommern, die heute polnisch
ist, und feierte auf diese Weise die 150 Jahre Einwanderung der Pommern im
Staate Santa Catarina (Brasilien).
In seinem Vortrag wirft José Heinemann als
Historiker zunächst einen Blick zurück auf das Pommern um 1800. Allerdings
wanderten von dort die ersten Familien erst 50 Jahre später nach Brasilien aus,
1858 nach São Lourenço im südbrasilianischen Staat Rio Grande do Sul
und 1859 nach Santa Maria de Jetibá im Staat Espírito Santo.
Der von den pommeranischen Einwanderern am meisten
bevorzugte brasilianische Bundesstaat war allerdings Santa Catarina, wo
sie sich ab 1861 vor allem in dem nach nach ihnen benannten Städtchen
Pomerode – ursprünglich ein Teil der 1850 gegründeten Kolonie Blumenau –
niederließen. Heute zählen wir im Staate Santa Catarina an die 250.000 Pomeraner
Nachkommen, während von dieser Volksgruppe im Staate Espírito Santo, wo bis Ende
des 19. Jahrhunderts an die 2000 Personen aus Pommern eingewandert waren,
schätzungsweise 120.000 Nachkommen leben dürften.
Das Pommersche Platt, genauer gesagt
Westpommerisch, wird in Brasilien in den Staaten Santa Catarina und Espírito
Santo von der ländlichen Bevölkerung noch in einzelnen, meist abgelegenen
Sprachinseln gesprochen, vereinzelt auch in Rio Grande do Sul, obwohl dort das
Hunsrückisch unter den deutschen Nachkommen der vorherrschende Dialekt ist.
Inzwischen hat der brasilianische Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Ismael
Tressmann Pommerisch als Schriftsprache entwickelt (siehe Ismael
Tressmann: «Pomerano-Português – Pomerisch-Portugijsich Wöirbauk» sowie «Upm
Land – Up pomerisch språk»), und Gemeinden im Staate Espírito Santo, in denen
die Sprache noch nicht ausgestorben ist, bieten sie inzwischen als
Unterrichtsfach an. Zwei Orte in Espírito Santo, nämlich Vila Pavão
und Santa Maria de Jetibá, haben Pommerisch nach Portugiesisch sogar
zur offiziellen Zweitsprache erklärt.
Mit seinem Bericht «Reise nach Pommern» beweist José
Heinemann, dass er nicht nur ein profunder Kenner der Geschiche und der
Lebensgewohnheiten der in Brasilien beheimateten Volksgemeinschaft ist, sondern
dass er auch über die ehemals preußisch-deutsche Provinz Pommern, ihre
Geschichte und ihre Geographie bestens Bescheid weiß. Die Reise, welche die
Gruppe über mehr als 400 km nach dem Nordosten Europas, gewissermaßen bis an die
Grenze Litauens, geführt hat und anschließend noch südwärts durch das flache
Landesinnere, vorbei an den Höfen der einst dort ansässigen pommerschen Bauern,
bis nach Berlin, war begleitet von der Neugier des Entdeckers, aber auch von
Wehmut über den Verfall der alten pommerschen Kultur und die Gleichgültigkeit,
mit der die heute dort lebenden Polen dem Erbe ihrer Vorgänger begegnen.
Dass Pommern nicht nur in der neueren Geschichte,
sondern bereits vor Jahrhunderten Zankapfel und Kriegsschauplatz der Großmächte
gewesen ist, zeigt uns das aus dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) stammende
und noch heute bekannte deutsche Volks- und Kinderlied:
Maikäfer flieg!
Der Vater ist im Krieg,
Die Mutter ist im Pommerland,
Und Pommerland ist abgebrannt.
Maikäfer flieg!
Pommern hatte in diesem Krieg ein Drittel seiner
Bevölkerung verloren.
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